Stress auf der Arbeit, Müdigkeit nach dem Essen, Probleme beim Ein- oder Durchschlafen sind alles Situationen, mit denen viele Menschen täglich umgehen müssen. Doch woher kommen diese Reaktionen unseres Körpers und was will er mir damit sagen? Und wieso ist das für meine Symptomatik relevant? Diese Fragen möchten wir im heutigen Blogpost klären.
Alle oben genannten Punkte werden nämlich durch das sogenannte vegetative Nervensystem gesteuert. Wie der Name schon sagt, ist dies ein Teil unseres Nervensystems, um genau zu sein, des vegetativ-autonomen Systems (autonom bedeutet in diesem Fall, dass wir wenig willkürliche Kontrolle über das System besitzen und der Grossteil davon automatisch abläuft). Dieses System ist eng mit unseren inneren Organen vernetzt (inklusive Blutgefässe und jedweder Art von Drüsen) und übernimmt unbewusst die Kontrolle über eben jene, je nachdem in welcher Situation wir uns gerade befinden. Ist beispielsweise unser Blutzuckerspiegel niedrig, weil wir lange nicht gegessen haben oder sehen wir eine appetitliche Mahlzeit, löst ein Teil des vegetativen Nervensystems Hungergefühl aus und wir beginnen mit der Speichelproduktion (es läuft sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen). Oder man erschrickt sich und bekommt als Reaktion auf die ,,Gefahrensituation’’ einen plötzlichen Adrenalinschub von der Nebenniere (im Nebennierenmark wird Adrenalin gebildet und ausgeschüttet). Der Körper stellt also je nach Situation genau die Ressource zur Verfügung, die gerade benötigt wird, oder er macht auf das Fehlen einer Ressource aufmerksam.
Für unterschiedliche Reaktion bedarf es auch unterschiedlicher Systeme. Deshalb unterteilen wir das vegetative Nervensystem in zwei Untersysteme: Den Sympathikus und Parasympathikus. Der Sympathikus ist unser stimulierendes System, es schüttet beispielsweise Hormone wie Acetylcholin und Noradrenalin aus um uns auf eine Gefahrensituation (z.B. das Erschrecken) vorzubereiten und verbraucht dabei Energiereserven. Die Blutgefässe verengen sich, der Puls beschleunigt sich, die Muskelspannung wird erhöht, die Atemfrequenz steigt und ganz besonders wichtig: die Schmerzwahrnehmung wird gehemmt. Dies sind alles nur Bausteine einer solchen Stressreaktion, welche im Endeffekt dazu führt, dass wir bei drohender Gefahr effizienter und schneller reagieren können. Der Sympathikus ist also zuständig für eine durch Stress induzierte Fight or Flight-Reaktion (Kampf oder Flucht).
Der Parasympathikus hingegen bewirkt das genaue Gegenteil. Er fungiert meistens als hemmendes System, er schüttet Hormone wie Dopamin und Serotonin aus, um uns in den Entspannungszustand zu versetzen (z.B. das Verdauen einer üppigen Mahlzeit), dabei baut er meist Energiereserven auf. Die Blutgefässe werden geweitet, der Puls sinkt, die Muskulatur erschlafft, die Atemfrequenz nimmt ab und auch die Schmerzwahrnehmung kehrt auf einen regulären Level zurück. Auch hier gibt es noch zig andere Funktionen wie beispielsweise die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin oder die Erregung vor dem Geschlechtsverkehr. Der Parasympathikus kontert also die Funktionen des Sympathikus und versetzt uns dabei in einen regenerativen Zustand, er ist zuständig für eine durch Ruhe induzierte Rest and Digest-Reaktion (Ruhen und Verdauen).
Die folgende Grafik fasst nochmal einige, physische Reaktionen beider Systeme zusammen:
Grob zusammenfassen kann man also: Der Sympathikus ist dafür zuständig uns für kurze Zeit leistungsfähiger zu machen und Energiereserven zu mobilisieren, der Parasympathikus ist dafür zuständig die verbrauchten Energiereserven wieder aufzuladen.
Der Wechsel vom Parasympathikus in den Sympathikus dauert nur einige Sekunden (z.B. das Verfehlen der Treppenstufe), aber wieder zu entspannen kann bis zu einer Stunde dauern (z.B. das Verdauen einer üppigen Mahlzeit). Daher ist es wichtig, stets auf eine Balance zwischen beiden Systemen zu achten und sich dafür auch ausreichend Zeit zu nehmen. Dies ist normalerweise auch kein Problem, denn von Natur aus sollte der Sympathikus nur einige Mal am Tag das Steuer übernehmen. Da wir aber oftmals durch externe Faktoren bestimmt werden (diese werden gleich unten genannt) sind wir deutlich länger in einer sympathischen oder parasympathischen Stressreaktion gefangen als unserem Körper lieb ist. Gewinnt dadurch eins der beiden Systeme für einen längeren Zeitraum die Oberhand, wird der Körper aus dem Gleichgewicht gebracht und macht darauf aufmerksam: Hat man durchgängig ein hohes Stresslevel (wie oben genannt durch Arbeit, Familie und Beziehung o.ä.) kommt der Körper nicht mehr in einen Zustand der Erholung und kann erneute Stressoren nicht richtig verarbeiten da das momentane Stresslevel schon die volle Kapazität ausschöpft (Blogpost Regeneration: Der Eimer ist voll). Es folgen unter anderem Schlafstörungen, Appetitverlust, Gereiztheit und Verlust der Sexualfunktionen. Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Ist man zu lange inaktiv (zum Beispiel durch Krankheit, Antriebslosigkeit, depressive Phasen o.ä.) baut der Körper vorhandene Reserven mehr und mehr ab, da sie anscheinend nicht mehr gebraucht werden (Blogpost Regeneration: Der Eimer wird immer kleiner). Es folgen Symptome wie Verdauungsstörungen, Dekonditionierung, Atemschwierigkeiten und Überempfindlichkeit.
Auch die Schmerzwahrnehmung wird durch beide Systeme beeinflusst. Wie bereits erwähnt, sollte der Sympathikus die Schmerzwahrnehmung hemmen, da er Hormone wie Adrenalin ausschüttet. Wird aber der Sympathikus über längere Zeit überbeansprucht und es gibt wenig/kaum parasympathischen Ausgleich, hinkt die Ausschüttung schmerzhemmender Hormone dem Bedarf hinterher, da die benötigten Ressourcen nicht wieder aufgeladen werden. Wir werden also in einem Zustand, welcher unseren Schmerz hemmen soll, eher noch empfindlicher für Schmerz, welcher dann Überhand nimmt, sobald wir in eine Ruhephase übergehen (beispielweise in der Nacht).
Daher ist es unabdingbar für eine gesunde Schmerzreaktion, regelmässig Phasen hoher Anstrengung (körperlicher oder mentaler Aktivität) mit Phasen lohnender Erholung abzuwechseln und beide Systeme alternierend bis an ihre Grenzen auszuschöpfen, dabei ist keins der beiden Systeme schädlich. Nur wenn man sich zu lange in einem der beiden aufhält, kann dies zu Problemen führen.
Im Blogpost: Regeneration wird weiterhin auf beide Untersysteme eingegangen und es werden euch Möglichkeiten aufgezeigt, wie ihr dazu beitragen könnt eine ausgewogene Balance beider Systeme beizubehalten, um sowohl euer körperliches als auch mentales Wohlbefinden positiv zu beeinflussen.
Solltet ihr weitere Fragen immer gerne auf uns zu, entweder in der Praxis oder per Inbox/Email!
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